Es ist Heilig Abend.
Genauer gesagt, eigentlich erst "Heilig Mittag". Mit glänzenden Gesichtern und frisch gewaschenen Haaren sitzen die beiden Kinder auf dem Sofa im Wohnzimmer und trinken warmen Kakao. Draußen vor dem Fenster tanzen Schneeflocken, es duftet herrlich nach Weihnachten und der Tannenbaum glänzt in seiner Pracht: Rot-polierte Holzäpfelchen und feine Strohsterne schmücken ihn, und zarte, glitzernde Goldfäden hängen von den Zweigen. Unter dem Baum steht die Krippe mit all den vertrauten Figuren.
Schon in aller Frühe hatten sie das Jesuskind feierlich in den roten Kipplaster gesetzt und waren mit ihm kreuz und quer durch die Wohnung gebraust. Anschließend war es in der Puppenstube zu Gast gewesen, um mit der dort lebenden Puppenfamilie zu frühstücken, und zur Feier des Tages durfte das Jesuskind dann noch im Playmobil-Hubschrauber um den Weihnachtsbaum fliegen.... Huiii, war das ein Spaß gewesen ! Bis Mami in das Weihnachtszimmer getreten war und dem Spiel Einhalt geboten hatte.
Die beiden Kinder auf dem Sofa indes können es kaum noch erwarten.
Das aber ist gar nicht so einfach, an einem Tag wie diesem, wo die Uhren ohnehin schon viel langsamer laufen, als sonst, und man vor lauter Spannung gar nicht weiß, wie man die kommenden Stunden überstehen soll. Unter dem Vorwand, sich heute ganz besonders wohlgefällig zeigen zu wollen, beschließt die Große, noch einmal das Weihnachtszimmer zu saugen und holt zu diesem Zweck den Staubsauger aus der Kammer. Natürlich ist den Kindern der unbeaufsichtigte Umgang mit diesem Gerät normalerweise verboten, aber, so redet sie sich ein, ist es ja sicher auch in Mamis Sinne, wenn das Wohnzimmer heute ganz besonders gründlich gesaugt wird.Und doppelt hält nun einmal besser, das weiß doch jedes Kind. Mit der ganzen Kraft ihrer vier Jahre hievt sie das schwere Gerät in den Raum, steckt das Kabel in die Steckdose ( - ist zwar auch verboten, aber der Zweck heiligt bekanntermaßen die Mittel... - ) und heissa, los geht es ! Der Kleine klatscht begeistert in die Hände, denn auch er liebt dieses Gerät heiß und innig, und unter großem Jubel und den bewundernden Blicken des kleinen Bruders fährt die Große mit dem Staubsauger schwungvoll durch das Zimmer. Huiii, hat der eine Kraft....!
Doch, Gottlob, der Kleine sitzt unversehrt auf dem Teppich, fasziniert mit einem Auge in die Tülle des Staubsaugers spähend, während die Große daneben hockt und herzzerreißend heult. Und da erfahren die Eltern auch schon die grausame die Tragödie: Der böse Staubsauger hat das Jesusbaby gefressen. Da sitzen sie nun, es ist Heilig Abend, und das Jesuskind ist fort. Anklagend steht die leere Futterkrippe im Stall, und auch Maria scheint etwas wehmütiger zu gucken, als sonst.Wie sollen die Kinder das bloß dem Christkind erklären ?
- Lange, ...sehr lange dauert es, bis die Uhr drei mal schlägt,
und sie gemeinsam zum Krippenspiel gehen.
Diese Erkenntnis verursacht kein schönes Gefühl im Bauch.
Singend wandern sie mit den beiden nach dem Gottesdienst durch die Strassen. Zuhause angekommen betreten sie leise die Wohnung und öffnen feierlich die Wohnzimmertür. Wie angewurzelt bleiben die Kinder da auf der Schwelle stehen: Die Kerzen am Weihnachtsbaum leuchten und bunt verschnürte Päckchen stehen unter dem Baum.In der Krippe aber, geborgen von Maria und Joseph, liegt das Jesuskind und lächelt. So, als wäre es nie fort gewesen. Feline am 25.11.04 |